Kindergarten, Schule und Ausbildung in Lettland

Die grundlegenden Strukturen des lettischen Bildungssystems sind ähnlich wie die des deutschen. Nach dem Kindergarten folgen Grundschule, Gymnasium mit Abitur oder Fachabitur, Berufsschule oder Hochschule.

Wie in vielen sozialistischen und ehemals sozialistischen Ländern ist die Kinderbetreuung in Lettland sehr gut organisiert. Schon ab 1,5 Jahren werden die Kleinsten in einem der 570 Kindergärten aufgenommen – unabhängig davon, ob sie schon „sauber“ sind oder nicht. Das mag einigen etwas zu früh erscheinen; die wirtschaftliche Situation zwingt jedoch viele Mütter dazu, recht früh wieder in ihren Beruf zurückzukehren.

Die staatlichen Kindergärten haben in der Regel von 7:00 bis 19:00 Uhr geöffnet, ein Traum für berufstätige Mütter und Väter. In die Gruppen für die Allerkleinsten gehen ca. 20 Kinder; diese werden von einer Pädagogin und 2 Betreuerinnen liebevoll umsorgt. Der Tag beginnt mit einem gemeinsamen Frühstück. Dann werden die Kinder je nach Altersstufe beschäftigt. Im Vordergrund stehen die spielerische Entwicklung der Sprache, erste Einführung in Themen wie Natur und Umwelt, Basteln, Malen und Spielen. Wann immer das Wetter es zulässt, gehen die Gruppen mit ihren ErzieherInnen nach draußen. Die Kinder essen gemeinsam zu Mittag. Dann folgt ein Mittagsschlaf und am Nachmittag gibt es noch einen kleinen Snack.

Im Alter von 5 Jahren beginnt die obligatorische Vorschulausbildung. In Lettland gehen Kinder erst mit 7 Jahren in die Schule. Sie haben dann allerdings schon 2 Jahre Vorschule hinter sich, können also schon recht gut lesen, schreiben und rechnen. Die Vorschulausbildung findet im Kindergarten statt und die Kleinen werden nach wie vor von morgens bis abends betreut. Die Kinder können nachmittags freiwillig an Musik- oder Tanz AG´s teilnehmen; öfters werden Ausflüge gemacht. Traditionelle lettische Feste bzw. Feiertage werden gern gefeiert.

Die Kosten für die Eltern sind relativ gering. Oft muss nur das Essen bezahlt werden. Die Preise variieren von Stadt zu Stadt; teilweise muss auch die Betreuung mitfinanziert werden. In einer Kleinstadt wie Limbazi (ca. 8500 Einwohner) bezahlt man für einen Kindergartenplatz zur Zeit 30,00 Lats im Monat, das sind etwa 42,00 Euro. Die finanzielle Situation vieler Kindergärten ist nicht die beste. Oft bezahlen die Eltern freiwillig einen kleinen monatlichen Beitrag, mit dem die ErzieherInnen dann Bastelmaterial, neue Spiele und ähnliches kaufen. Man behilft sich aber auch mit denkbar einfachen und preisgünstigen Dingen. So bekommen die Allerkleinsten zur Förderung der Konzentration und der Motorik einen einfachen Margarinebecher, in dessen Deckel ein schmaler Schlitz ist. Dorthinein sollen alte Knöpfe gesteckt werden, ähnlich wie bei einem Sparschwein. Maria Montessori hätte ihre Freude daran, zu sehen, mit welch einfachen Mitteln die KindergärtnerInnen sinnvolle und interessante Spielmöglichkeiten entwerfen.

Die Gemeinde Limbaži hatte das große Glück, vom Europäischen Fond für regionale Entwicklung (EFRE) eine recht große Summe zur Sanierung der Kindergärten zu bekommen. Der EFRE finanziert Infrastrukturprojekte in den wirtschaftlich schwächeren Regionen Europas. Zwischen März und Dezember 2009 werden die drei Kindergärten von Grund auf renoviert. Es werden neue Wasserleitungen verlegt, Belüftungssysteme eingebaut, Dächer neu gedeckt, Außenwände isoliert und Sanitäranlagen erneuert. Ein Projekt, welches ohne Hilfe der EU nicht zu realisieren wäre.
Kindergarten „Buratīno“ in Limbaži
Trotz aller finanziellen Engpässe werden die Kinder professionell betreut und auf die Schule vorbereitet. Meine Zwillinge waren gerne im Kindergarten und haben sich prächtig entwickelt.


Wie aber sieht es mit dem Schulwesen aus?

Im Jahre 1211 wurde in Riga vom Klerus die erste Domschule gegründet. Unterrichtet wurde gut 400 Jahre lang überwiegend in Deutsch. Im 17. Jahrhundert gab es zwar die ersten lettischen Lehrbücher, aber erst mit der Gründung der unabhängigen Republik Lettland am 18. November 1918 wurde auf lettisch unterrichtet. Ab 1919 war der kostenlose Grundschuluntericht für Kinder ab 8 Jahren Pflicht. Die Grund- und Hauptschulausbildung (4 Jahre Grundschule, 5 Jahre Hauptschule) wird vom Staat und den Gemeinden finanziert. Englisch ist ab der dritten Klasse Pflicht und in der fünften Klasse kommt eine Zweite Fremdsprache hinzu. In der Regel können die Schüler zwischen Deutsch und Russisch wählen. Nach Abschluss der neunten Klasse gehen die Schüler entweder auf eine Berufsschule oder machen in drei weiteren Jahren ihr Abitur. An vielen Schulen besteht die Möglichkeit, Abitur mit den Schwerpunkthemen Humanismus/Sozialwissenschaften oder Naturwissenschaften zu machen.

Der Traum deutscher Schulkinder wird an lettischen Schulen Wirklichkeit: Es gibt volle drei Monate Sommerferien. Am 31. Mai ist der letzte Schultag und erst am 1. September geht es wieder los. Dazu kommen natürlich noch Herbst-, Weihnachts-, Oster- und für die Erstklässler zusätzlich die Frühlingsferien.

Die Schulnoten werden von der Grundschule bis zur Universität nach ein und demselben Notensystem vergeben: Note 1 ist das denkbar schlechteste Ergebnis, die Note 10 bedeutet hervorragend.

An vielen Schulen wird ein kostenloser Ganztagsunterricht angeboten. Nach dem regulären Unterricht bekommen die Schüler in der Schulkantine Mittagessen (für die Erstklässler wird das Essen oft von den Gemeinden finanziert, sonst bezahlen die Schüler etwa 0,50 Lats, entspr. 70 Cents, für eine Mahlzeit). Am Nachmittag haben die Kinder die Möglichkeit, an unzähligen Arbeitsgemeinschaften teilzunehmen. Da gibt es beispielsweise Töpferkurse, Literaturkreise, verschiedene Sportarten, Computerkurse (sogar schon für Erstklässler), Malkurse, Chor und Orchester und vieles mehr. Wer nicht an einem Kurs teilnehmen möchte, wird in einem Klassenraum von Lehrern beaufsichtigt, kann seine Hausaufgaben machen oder einfach nur spielen und lesen. Bis 16:00 Uhr werden die Kinder betreut – eine große Unterstützung für berufstätige Eltern.
In einigen lettischen Schulen wurde vor kurzem das s.g. elektronische Klassenbuch eingeführt. Der Lehrer trägt täglich die Schulnoten eines jeden Schülers, die Hausaufgaben und besondere Kommentare auf einer speziellen Internetseite ein. Die Eltern haben mit einem persönlichen Passwort jederzeit darauf Zugriff. Sie können also täglich online den Leistungsstand ihrer Kinder überprüfen. Fehlt ein Kind unentschuldigt, werden die Eltern unverzüglich per SMS informiert. Die Anzahl der Schulschwänzer und Hausaufgabenverweigerer ist seit Einführung dieses E-Klassenbuches erheblich gesunken!

Die Schulklassen sind in Kleinstädten oft recht klein. Es sitzen höchstens 20 bis 24 Schüler in einer Klasse. In den Hauptfächern wie Lettisch, Mathematik und Fremdsprachen werden selbst diese kleinen Klassen noch in zwei Gruppen aufgeteilt. In Riga sieht es leider etwas anders aus, vergleichbar mit deutschen Großstädten. Der Kindergarten ist wesentlich teurer, die Schulklassen größer, die Nachmittags-betreuung fällt an vielen Schulen ganz weg. Im Schuljahr 2008/2009 lernten 249.446 Schüler an 982 Schulen. Nach den neun obligatorischen Schuljahren gibt es auch die Möglichkeit, auf eine Berufsschule zu gehen. Dort lernen die Schüler Berufe im Bereich Handwerk, Handel und Dienstleistung. Wer Abitur oder Fachabitur hat, kann eine Hochschule besuchen. Die meisten der über 30 Hochschulen sind staatlich. Die wichtigsten sind die Universität von Lettland (gegründet 1919), Rigas technische Universität, die Landwirtschaftsuniversität, die Pädagogische Universität Daugavpils, je eine Musik-, Kunst- und Kulturakademie u.v.a. Im Studienjahr 2008/2009 studierten an lettischen Hochschulen insgesamt 125.360 Studenten.

Ein direkter Vergleich zwischen lettischen und deutschen Schulen ist schwierig. Zur Qualität der lettischen Schulbildung kann ich aber folgendes sagen: Die Schulabgänger, die ich kenne, sind nicht schlechter gebildet, als ich.

Tina Runce


Quellen:
data.csb.gov.lv
www.izm.gov.lv
www.aic.lv
www.elimbazi.lv
www.li.lv