Flora und Fauna in Lettland – und wie die lettische Küche davon profitiert

Lettland ist mit 64.589 qkm das mittlere der drei baltischen Länder. Es liegt in einer gemäßigten Klimazone. Die Durchschnittstemperatur liegt im Januar bei -2,0 bis -7,0 Grad. Die Tiefsttemperatur kann durchaus -30 Grad erreichen. Ab -20,0 Grad gibt es schulfrei. Im Juli liegen die Temperaturen im Durchschnitt bei 18,0 Grad, in heißen Sommern sind auch bis 30,0 Grad drin. Der durchschnittliche Niederschlag beträgt etwa 560 mm pro Jahr.
Der höchste „Berg” ist der Gaizinkalns mit 312 m über NN. Sonst ist das Land nur leicht hügelig, ein Paradies für Radfahrer. Die Landschaft besteht zu ca. 45% aus Wald und wird von Wiesen,Weiden, Sand- und Moorflächen durchzogen. Das Ganze ist mit etwa 3000 meist kleinen Seen garniert. Mit 80 qkm ist der Lubanas-See im Osten des Landes der größte.

Lettland besitzt kaum Bodenschätze. Da die Landesfläche zu etwa 10% von Mooren bedeckt wird, baut man auf über 4000 ha Torf ab. Torf war früher der wichtigste Energielieferant und wird heute
u. a. nach Deutschland exportiert. Durch die Entwässerung der Moore und den Torfabbau wird die Tier- und Pflanzenwelt geschädigt. Dazu kommen Überdüngung der Gewässer durch die Landwirtschaft, und Belastung durch den wachsenden Tourismus. Teilweise beginnt man, die Moore zu renaturieren. Im Moor „Lauga” (nähe Bīriņi, Landkreis Limbaži) werden jetzt Moosbeeren angebaut und der Besitzer lädt zu Besichtigungen ein.
In der Landwirtschaft werden hauptsächlich Futterpflanzen, Getreide und Kartoffeln angebaut.
Moosbeerensammlerin
Moosbeeren
Die Forstwirtschaft ist ein bedeutender Faktor im lettischen Außenhandel. Über 30% des lettischen Exportwerts fallen auf Rohholz und Holzprodukte. Aber auch in der Holzwirtschaft wird kontinuierlich aufgeforstet.
Der typische lettische Mischwald besteht aus Kiefer (ca. 40%), Birke (ca. 30%) und Fichte (ca. 20%). Dann folgen Roterle, Weißerle, Aspe, Eiche und Esche. 11% der Waldfläche stehen unter Naturschutz und werden somit nicht forstwirtschaftlich genutzt. Der Gauja-Nationalpark, gegründet 1973, ist der größte in Lettland und liegt zwischen Sigulda und Cēsis. Hier tummeln sich auf 920 qkm etwa 900 Pflanzenarten, 149 Vögel- und 48 Säugetierarten (www.gnp.lv). In Nordvidzeme befindet sich das 4744 qkm große Biosphärenreservat. Es ist das einzige in Lettland, das zum UNESCO-Umweltprogramm „Mensch und Biosphäre“ gehört (www.biosfera.gov.lv).
In den weiten, oft unberührten Wäldern leben Elche, Hirsche, Rehe, Wildschweine, Füchse, sogar Luchse und Wölfe. Bären gibt es nur noch sehr selten an der Grenze zu Estland. An den Gewässern findet man häufig Biber und Otter. Die Biber dringen bis in die Städte vor und werden oft zur Plage, wenn sie sich an Teichen in Gärten niederlassen. Kürzlich ist ein Biber mitten auf der Hauptstraße von Limbaži überfahren worden. In älteren lettischen Kochbüchern findet man durchaus Rezepte für Biberbraten. Wo es viel unberührte Natur und Gewässer gibt, dürfen die Störche natürlich nicht fehlen. In Lettland nisten über 10.000 Weißstorchpaare. Auf vielen Bauernhöfen werden spezielle Nistplätze (Wagenräder als Nestbauhilfe) eingerichtet. Selbst vom seltenen Schwarzstorch gibt es etwa 1000 Paare.

Wer mit offenen Augen durch den Wald geht, findet zahlreiche Pflanzen, die in Deutschland zum größten Teil sehr selten geworden, wenn nicht sogar ausgestorben sind. Dazu gehören verschiedene Flechten (z. B. das Lungenmoos), Farne (z. B. die einfache Mondraute, sehr selten in Europa) und etwa 30 verschiedene Orchideenarten (z. B. der äußerst seltene gelbe Frauenschuh). An einer Stelle am Ufer der Venta wächst sogar der Riesen-Schachtelhalm, der bis zu 1,6 m hoch wird. Er steht jedoch in einer Schutzzone, die man nicht betreten darf. Im Biosphärenreservat wachsen 900 verschiedene Farne und Samenpflanzen. Eine lettische Legende besagt, daß der Farn (der keine Blüten trägt!) in der Johannisnacht (24. Juni, Sommersonnenwende) blüht. Wer diese Blüten findet, hat Glück in der Liebe, besondere Kräfte und wird reich werden.
In den Wiesen und Wäldern wachsen ein Vielzahl von Pilzen. Darunter bedrohte Arten wie der Safrangelbe Porling, aber auch die weithin bekannten Speisepilze wie Birkenpilz, Pfifferling, Speisetäubling, Birkenreizker, Maronenröhrling und natürlich der beliebte Steinpilz. Im Herbst trifft man in den vermeintlich stillen Wäldern Horden von Pilzsammlern. Auf den Märkten in kleinen und größeren Städten, selbst am Straßenrand werden Pilze körbeweise verkauft. Viele ältere Menschen bessern damit ihre knappe Rente auf. Sie kennen meist aus ihrer Kindheit die ergiebigsten Sammelstellen. Vor einigen Jahren fand ich kiloweise Steinpilze. In der Kleinmarkthalle in Frankfurt kostete damals das Kilo 80 Mark! Im September findet sogar ein Pilzsammelwettbewerb statt. Es gibt verschiedene leckere Pilzgerichte. Wer schon genug davon gegessen hat, legt die Pilze für den Winter ein. Marinierte Champignons gibt es in jedem lettischen Supermarkt zu kaufen. Beim Trocknen intensiviert sich das Aroma der Pilze. Sie werden geputzt (nicht gewaschen!), in Scheiben geschnitten und dann getrocknet. Entweder an einem luftigen warmen Ort auf ein Tablett gelegt oder auf einer Schnur über den Ofen gehängt.
Die lettische Küche ist herzhaft, deftig und orientiert sich an den Jahreszeiten. Traditionelle Gerichte sind Erbsen mit Speck, pīrāgi (Hefeteighörnchen, gefüllt mit Speck und Zwiebeln), silķe kažokā (Hering mit Kartoffeln, Dill, Eiern und viel saurer Sahne) und skābeņu zupa (Sauerampfersuppe mit Schweinefleisch, Graupen und Kartoffeln, dazu gibt es hartgekochte Eier und die unvermeidliche saure Sahne).
Auch Fisch wird häufig gegessen, z. B. Lachs, Hering, Hecht, Aal, Forelle und Dorsch. Eine beliebte Delikatesse sind die Neunaugen. Sie werden mariniert und gegrillt gegessen. In Salacgrīva an der Salaca gibt es eigens Neunaugenfischzäune. Interessierte Besucher können den Fischern bei der Arbeit zusehen.
Neunaugenfischzaun an der Salaca
Im Sommer wird in Wald und Feld gesammelt, was die Büsche und Bäume hergeben: Im April pflücken viele Letten schon den intensiv nach Knoblauch schmeckenden Bärlauch. Das ist natürlich verboten, da er wie in Deutschland unter Naturschutz steht. Man bereitet daraus Salat, Suppe und Brotaufstrich zu. Ab Juni geht es dann weiter mit Walderdbeeren, Heidelbeeren, Himbeeren, Multbeeren, Moosbeeren, Holunderbeeren, Hagebutte, Sanddorn und Eberesche. Es wird Saft und Marmelade gekocht und für den Winter haltbar gemacht. Gelierzucker gibt es erst seit kurzem in Lettland, bis vor einigen Jahren kochte man Marmelade aus Früchten und normalem Zucker im Verhältnis 1:1. Das Ergebnis war mehr als süß. Kinder und Erwachsene essen gern dzērvenes pūdercukurā, (Moosbeeren in Puderzucker), eine äußerst schmackhafte Vitaminbombe. Für die Schnapsfans wird Schnaps mit Waldbeeren aufgesetzt.
Allerdings nerven die Mücken im Wald gehörig. Zu empfehlen ist langärmelige Kleidung und Mückenschutzspray. Eine Schutzimpfung gegen die von den Zecken übertragene FSME ist in Lettland angebracht.

Auch bei den Getränken greift man gern auf das zurück, was die Natur zu bieten hat. Weit über Lettlands Grenzen hinaus bekannt ist der Rīgās Melnais Balzams (Rigaer Schwarzer Balsam). Es handelt sich hierbei um einen traditionellen Likör, vergleichbar mit dem deutschen Jägermeister. Angeblich besteht er aus 99 Zutaten, darunter Lindenblüte, Birkenknospen, Pfefferminze, Heidelbeeren, Himbeeren, Eichenrinde, Muskat, Pfeffer und Honig. Die Letten trinken ihn zu jeder Gelegenheit. Entweder pur, auf Eis, im Kaffee, im Tee, als Cocktail im Orangensaft oder mit Cola.
Zu Beginn des Frühlings, wenn es keinen Nachtfrost mehr gibt, zapfen die Letten Birken an, um Birkensaft zu gewinnen. Diese farblose Flüssigkeit schmeckt herb-süßlich und wird frisch oder vergoren getrunken. Frisch hält sich der Saft nur wenige Tage im Kühlschrank. Eine Birke liefert etwas 10 l Saft am Tag, dicke, alte Bäume sogar 15-20 l. Beginnen die Blätter bei wärmeren Temperaturen zu knospen, hört der Saft auf, zu fließen. Nur wenige Rezepte mit Birkensaft sind überliefert, in der Regel wird das Getränk pur genossen.
Walderdbeeren
Blaubeeren
Die lettische Hausfrau sammelt auf Wiesen und Feldern Kräuter und Blumen für die Teezubereitung. Das können Heilpflanzen sein, oder aber Pflanzen, die aufgebrüht und als Tee getrunken einfach nur gut schmecken. In der freien Natur findet man z. B. Holunder- und Lindenblüten, Brennnessel, Kamille, Schafgarbe und Spitzwegerich. Aber auch aus Walderdbeer- und Waldhimbeerblättern werden leckere Aufgüsse zubereitet.
 
Lettland ist vielleicht kein klassisches Reiseziel, bezaubert aber mit seiner unberührten Landschaft. Wer zur Beeren- oder Pilzzeit das Land besucht, sollte sein Körbchen bei einem Streifzug durch intakte Wälder nicht vergessen. Es lohnt sich!
 
 
Rezeptvorschläge für zwei ganz einfache klassische lettische Gerichte aus der Naturküche:
 
Sauerampfersuppe:
Geräuchertes Schweinefleisch würfeln, anbraten, mit Salz und Pfeffer würzen und in Bouillon weich kochen. 15 min vor Ende der Garzeit Graupen und Kartoffelstücke hinzugeben. Den Sauerampfer waschen, in kleine Stücke schneiden und nur 1-2 min mitkochen. Zu der Suppe bekommt jeder auf seinen Teller ein hartgekochtes zerkleinertes Ei und natürlich saure Sahne.
Sauerampfer findet man den ganzen Sommer über auf den Wiesen. Viele säen ihn aber auch extra im Garten aus.
 
Kartoffeln mit Pfifferlingsoße
Pfifferlinge putzen. Speck würfeln, anbraten. Im Bratfett gewürfelte Zwiebel andünsten. Pfifferlinge dazugeben, kurz anbraten und mit Gemüsebrühe aufgiessen. 15 min kochen, süße Sahne dazugeben. Soße mit Kartoffelstärke oder Mehl andicken. Gehackte Petersilie unterrühren. Dazu passen Salzkartoffeln oder einfach nur Weißbrot.

Ausflugsziele in Wald und Feld:
 
Dendrologischer Park in Ledurga. Etwa 1000 verschiedene Baumarten, Sträucher, Blumen (www.ledurgasdendroparks.lv)
 
Zaļā birzs  Größter Weymouthskiefernwald in Lettland. Bei Vidriži.
Größter Anbau von Heilpflanzen in Vidzeme. Bei Vidriži. Informationen über Pflanzenheilkunde und Anwendung.
 
Waldlehrpfad in Ķirbiži  Der 2,1 km lange Pfad entlang der Vitrupe führt an der „Vālodzes“-Rieseneiche (Umfang 6,52m) vorbei und informiert auf zahlreichen Schautafeln über Flora uns Fauna.
 
Waldmuseum in Ķirbiži  Ausstellung über die Flora und Fauna des Landkreises Limbaži und die Geschichte der Forstwirtschaft.
Spazierpfad im Niedrāju-Pilkas Moor
Rieseneiche bei Ķirbiži
Niedrāju-Pilkas Moor  Gemeinde Pāle. Spazierpfad und Aussichtsturm
 
Renaturiertes Moor „Lauga” bei Bīriņi. Besichtigung möglich von April bis November nach vorheriger Absprache unter Tel.00371 64066335,  26128475
 
Ausführliche Informationen über die o. g. Ausflugsziele gibt es im
Touristeninformationszentrum Limbaži:
Burtnieku Straße 5, Limbaži
Tel.: 00371  40-70608
 
 
 
Tina Runce
 
 
Quellenangaben:
-Latvian State Forest Service
-The Latvian Institute
-Statistical Office of Latvia
-Lettische Behörde für Umwelt, Geologie und Meteorologie